Kunst wie ,von der Straße‘
Über die Arbeiten von Patrizia Casagranda
Die Frau ist ein stetig wiederkehrendes Element in den Arbeiten von Patrizia Casagranda, ob als Prinzessin, mythologische Figur, Müllsammlerin oder Trägerin eines bestimmten Glaubens. ‚Ich finde Frauen toll‘, erzählt die Krefelder Künstlerin und Mutter von drei Töchtern im Gespräch mit dem Jülicher Galeristen Pieter Loven 2018. Waren es anfangs Märchenthemen, bei denen sie über Schwarzweiß-Kopien typische Accessoires wie die Schuhe, das Pferd oder den Frosch sprühte, so sind es heute weniger die Allegorien auf die Gesellschaft (wie Märchen auch gelesen werden können), sondern die großen, globalen Themen unserer Zeit. Gleichheit, Gerechtigkeit und Toleranz lassen sich als Forderungen aus der Auseinandersetzung mit den indischen Müllmädchen aus der Kaste der Kabelia ebenso herauslesen wie aus ihrer Serie Belief, in der es ihr um die Weltreligionen geht.
Patrizia Casagranda ist erst seit 2016 als freischaffende Künstlerin tätig; seither aber mit großem Erfolg. Zuvor schloss sie 2002 ihr Design-Studium mit dem Schwerpunkt Illustration mit Auszeichnung ab und arbeitete anschließend als Grafikerin unter anderem für Günther Uecker und Markus Lüpertz. Das Wort, Typografie allgemein, ihre Struktur und Farbigkeit, aber auch das Arbeiten in Konzepten, spielen in ihren Kunstwerken eine große Rolle – ein Umstand, den sie selbst auf ihre Erstprofession Designerin zurückführt: ‚Dass ich Spaß an Typografie habe, sieht man vor allem an den Hintergründen meiner Arbeiten.‘
Arbeitete Patrizia Casagranda anfänglich in Acryl und fertigte Collagen, so ist zwischenzeitlich das mehrschichtige Raster, durch das sie das Motiv in verschiedenen Farben durch ein grobmaschiges Sieb hindurchdrückt, zu ihrem Erkennungszeichen geworden. Auf Einladung von Peter Wilms, mit dem sie sich seit 20 Jahren ein Atelier in Holland teilt, reiste sie nach Indien. Dort begegnete sie den Müllmädchen aus der indischen Schlangenkaste, der Kabelia, die ihr Müllfunde überließen, die sie wiederum im Wortsinn als Grundlage ihrer Arbeiten verwendete. Die Idee eines Stücks „Wand an der Wand“ war geboren, die recycelten Materialien ,von der Straße‘, wie LKW-Planen, Jute-, Stoff-, Papier- oder Pappe-Teile, werden mit „15 bis 20, manchmal auch mehr“ Schichten Malerei überlagert, die aus einer mit Pigmenten angereicherten Mörtel-Gips-Mischung besteht. Dabei bedient sich Casagranda der künstlerischen Bandbreite, die das Graffiti zu bieten hat. Schablonen, Raster, gesprühte und gemalte Bereiche finden sich neben- und übereinander in Kombination mit Typofragmenten, die sie unterschiedlichen Kontexten entnimmt. Das kann ein Gedicht ebenso sein wie die Rede Charlie Chaplins aus dem Film Der große Diktator. Dass Casagranda sich der Techniken des Graffitis bedient, ohne dieser Szene zu entstammen, macht deutlich, wie weit es diese künstlerische Gegenbewegung inzwischen geschafft hat, im Mainstream des Kunstbetriebs anzukommen. Nicht nur Banksy ist Beispiel für die Museumsgängigkeit dieser jungen Kunstrichtung, auch Casagranda belegt mit ihrer Arbeitsweise, dass die Übergänge fließend sind und der Betrachter sich an das den ,used‘-Charakter von Kunstwerken gewöhnt hat. Casagranda kommt nicht ,von der Straße‘, sie bedient sich aber ihrer Mittel und Methoden, weshalb sie durchaus der Urban Art zugerechnet werden kann. Zur Malerei kam sie letztlich über die Geschichte, respektive die römische Geschichte: „Die Malereien in Pompeji kann man doch als Street Art der Antike bezeichnen. Ich war fasziniert vom Alterungsprozess dieser Gemälde und habe sie mit eigener Technik in unsere Zeit übertragen.“
Die Idee eines Stücks „Wand an der Wand“ war geboren, die recycelten Materialien ,von der Straße‘, wie LKW-Planen, Jute-, Stoff-, Papier- oder Pappe-Teile, werden mit „15 bis 20, manchmal auch mehr“ Schichten Malerei überlagert.
Anastasia Zentner art historian
Ihre Kompositionen haben eine faszinierende Tiefenwirkung. Aus der Nähe betrachtet, lässt sich die Wirkung vergleichen mit den Arbeiten der Pointilisten: das Motiv wirkt wie ein abstraktes, aus Rasterpunkten bestehendes Gemälde, dessen Bildinhalt sich erst auf die Distanz erschließt. Das Flachrelief, das durch den vielfachen Farbauftrag entstanden ist, tritt dann zugunsten des Motivs in den Hintergrund, wohingegen es bei Betrachtung in Nahsicht dominiert. Das Geheimnis der Leuchtkraft ihrer Arbeiten liegt sicher auch in den von ihr verwendeten Pigmenten. Sie habe einen Pigmentladen aus dem 17. Jahrhundert in Den Haag aufgekauft, so Casagranda, und sei immer wieder von der Leuchtkraft dieser Farben beeindruckt. ‚Meine Farbigkeit hat sich dadurch seit etwa ein bis eineinhalb Jahren geändert.‘ Dabei hält sie an ihrer Arbeitsweise fest, an mehreren Werken gleichzeitig zu arbeiten, um spontan auf den Zufall reagieren zu können. Mal ist es ein Blick, der sie inspiriert, Werbung, aber auch der Gedanke des Humanismus, von Peace and Love, den sie in ihre Arbeiten hineinträgt. Sie sei stetig in Bewegung und entwickle unermüdlich, umschrieb die gebürtige Stuttgarterin einmal ihren Schaffensprozess.
Dazu passt auch, dass ihr die ständige Weiterentwicklung sehr wichtig ist – vielleicht macht das, trotz immer wieder neuer Themen – ihre Arbeiten so lebendig. Gerade mit der Belief- und auch mit der überwiegend 2020/21 entstandenen Diversity-Serie will sie eine allgemeingültige Botschaft transportieren: Der Gedanke des Humanismus, dem die Idee gleicher Werte ebenso zugrunde liegt, wie dies bei den Weltreligionen letztlich der Fall ist. „Religion wurde immer wieder von Diktatoren dazu instrumentalisiert, ihre Bedürfnisse zu legitimieren. Das ist Schwachsinn! Alle Religionen haben dieselben Werte“, wird sie deutlich. Daraus lässt sich aber auch schlussfolgern, dass ihre Arbeiten durchaus eine politische Botschaft haben; sowohl ihre Portraits der Müllmädchen, die in ihrer Schönheit und dem unerschütterlichen Optimismus beeindrucken, den sie transportieren, als auch die Werke der Diversity-Serie, die Wärme und Stärke ausstrahlen, und ihre jüngsten Arbeiten, die inspiriert sind vom gedeckten Tisch, sich davon ausgehend aber mit dem Konsum unserer Zeit auseinandersetzen. Wenn alle Menschen gleich sind, dann sollten wir auch den Müllmädchen Respekt zollen, die den Wohlstandsmüll des Westens einer Endverwertung zuführen, und unseren Konsum im Allgemeinen hinterfragen, der mitverantwortlich für die Probleme unserer Zeit ist – so könnte man ihre künstlerische Botschaft auf den Punkt bringen.
Lebenslauf
- seit 2016
freischaffende Künstlerin; arbeitet in Deutschland, Niederlande und Indien - 2002
Design-Diplom mit Auszeichnung an der FH Niederrhein - seit 2002
Artdirektorin in Krefeld/Düsseldorf/Venlo - seit 2000
tätig fürs International Art Center - 1994
zwei Jahre Schülerin von Thomas Dürr (Maler in Stuttgart);
Besuch der Malakademien in Ravensburg und Trier;
Buchgestaltung und Zusammenarbeit mit Günther Uecker und Markus Lüpertz
- 1979
in Stuttgart geboren – lebt in Krefeld
Dr. Prof. Chris Gerbing Freie Kuratorin